Sonntag, 24. Juni 2012

J.R. Moehringer - Tender Bar

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten 
Verlag: S. Fischer
Erscheinungsdatum: 03. März 2008
ISBN: 978-3-10-049602-7


J.R. wächst in den ärmlichen Verhältnissen Manhassets auf, einem schicksalsträchtigen Kaff im Schatten New York Citys, dessen Bucht bereits F. Scott Fitzgerald zu seinem Epos "Der große Gatsby" inspirierte. Zwischen den Tavernen der Arbeiterklasse, den Imbissen, den Lacrosse-Plätzen und den prunkvollen Villen der Reichen, findet der in einem schäbigen, kleinen Haus mit Mutter und Großeltern lebende Protagonist die Vaterfigur, die in seinem Leben so schmerzlich fehlt, in einer ganzen Bar.

Eine liebevolle Clique aus zwielichtigen Schluckspechten und Taugenichtsen wird zu dem männlichen Bezugspunkt im Leben des Jungen. Sehnlichst erwartet er den Tag, an dem es ihm erlaubt ist, seinen ersten Drink zu ordern. Bis dahin glorifiziert er jedes Detail, das aus diesem dunklen, von Zigarettenrauch geschwängertem Utopia nach außen und zu ihm dringt. Bis es dann tatsächlich so weit ist, und J.R. endlich Teil der Gesellschaft im "Publicans" wird.

Moehringer erzählt in diesem, stark autobiografisch-geprägten Roman nicht nur von der träumerischen Liebeserklärung an eine fast schon mythologisch verklärte Bar, sondern auch davon, was es für einen Jungen bedeuten kann, ohne Vater aufzuwachsen. J.R. wird älter, verlässt Manhasset, verliebt sich, kehrt zurück, geht nach Yale, und doch bleibt er stets ein Teil der Bar - und umgekehrt. Es ist eine Geschichte über Verlust, über Familie, das Erwachsenwerden und - ganz nebenbei - über einen Jungen aus ärmlichen und zerrütteten Verhältnissen, der es bis in die Redaktion der altehrwürdigen New York Times schafft. 

"Tender Bar" ist eines dieser Bücher, die einen nie fesseln, und doch nicht mehr loslassen, bis man sie ausgelesen hat. Die Tatsache jedoch, dass man den biografischen Bezug nie so ganz ausblenden kann, lässt den Pulitzer-Preisträger Moehringer an einigen Stellen ganz natürlich ein wenig selbstgerecht wirken, was wahrscheinlich auch der Grund ist, warum dieser die Gattung des Romans für seine Jugendmemoiren gewählt hat. Insgesamt bleibt "Tender Bar" jedoch, den wenigen American-Dream-Ausdünstungen zum Trotz, eine schöne und liebevolle Coming-Of-Age-Geschichte, deren sympathische Atmosphäre den Leser für einige Zeit begleitet und Lust macht, sich endlich mal wieder in einer dieser klassischen, verrauchten Kneipen an den Tresen zu setzen, sich volllaufen zu lassen und die ganze Welt zu zerreden.

Note: 2,4
  • Humor: 2
  • Anspruch: 2
  • Spannung: 3
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 2
   

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